Ludwig Uhland                       An den Unsichtbaren

1787 – 1862

Du, den wir suchen auf so finstern Wegen,

Mit forschenden Gedanken nicht erfassen,

Du hast dein heilig Dunkel einst verlassen

Und tratest sichtbar deinem Volk entgegen.

 

Welch süßes Heil, dein Bild sich einzuprägen,

Die Worte deines Mundes aufzufassen!

O selig, die an deinem Mahle saßen!

O selig, der an deiner Brust gelegen!

 

Drum war es auch kein seltsames Gelüste,

Wenn Pilger ohne Zahl vom Strande stießen,

Wenn Heere kämpften an der fernsten Küste:

 

Nur um an deinem Grabe noch zu beten

Und um in frommer Inbrunst noch zu küssen

Die heil’ge Erde, die dein Fuß betreten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       An die Bundschmecker

1787 – 1862

Die ihr mit scharfen Nasen ausgewittert

Viel höchst gefährlicher, geheimer Bünde,

Vergönnt mir, daß ich einen euch verkünde,

Vor dem ihr wohl bis heute nicht gezittert!

 

Ich kenne, was das Leben so verbittert,

Die arge Pest, die weitvererbte Sünde:

Die Sehnsucht, daß ein Deutschland sich begründe,

Gesetzlich frei, volkskräftig, unzersplittert;

 

Doch andres weiß ich, und vernehmt ihr’s gerne,

So will ich einen mächt’gen Bund verraten,

Der sich in stillen Nächten ausgesponnen:

 

Es ist der große Bund zahlloser Sterne,

Und wie mir Späher jüngst zu wissen taten,

So steckt dahinter selbst das Licht der Sonnen.

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       An Gustav Schwab

1787 – 1862

Du jagtest, freund, nach mannigfachem Wissen,

Ein rascher Wandrer auf Norddeutschlands Wegen,

Du triebst dich um, wie Musenjünger flegen,

Und hast darob der Strümpfe viel zerrissen:

 

Indes, bewahrt vor allen Kümmernissen,

Dies Sockenpaar in meinem Schrank gelegen;

Der Zukunft harrt es ahnungsvoll entgegen

Und schien mir deinen teuern Fuß zu missen.

 

O segnet euer Teil, beglückte Socken!

Nicht geht es fortan durch Gebirg und Sümpfe,

Auf Heimatfluren wallt ihr weich und trocken,

 

Ihr wandelt sachten Tritts auf Kanzeltreppen,

Und trifft auch euch das ew’ge Los der Strümpfe,

So wird euch eine junge Hausfrau steppen

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       An Justinus Kerner

1787 – 1862

Es war in traurigen Novembertagen,

Ich war gewallt zum stillen Tannenhaine

Und stand gelehnet an der höchsten eine,

Da hielt ich deine Lieder aufgeschlagen.

 

Versunken war ich in die frommen Sagen:

Bald kniet’ ich vor Sankt Albans Wundersteine,

Bald schaut’ ich Regiswind im Rosenscheine,

Bald sah ich Helecenas Münster ragen.

 

Welch lieblich Wunder wirkten deine Lieder!

Die Höh’ erschien in goldnem Maienstrahle

Und Frühlingsduft ertönte durch die Wipfel.

 

Doch bald verschwand der Wunderfrühling wieder,

Er durfte nicht sich senken in die Tale

Im Flug streift er nur der Erde Gipfel.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       An Petrarca

1787 – 1862

Wenn du von Laura Wahres hast gesungen,

Von hehrem Blick, von himmlischer Gebärde: -

Und ferne sei, daß angefochten werde,

Was dir das innerste Gemüt durchdrungen! –

 

War sie ein Zweig, im Paradies entsprungen,

Ein Engel in der irdischen Beschwerde,

Ein zarter Fremdling auf der rauhen Erde,

Der bald zur Heimat sich zurückgeschwungen:

 

So fürcht ich, daß auch auf dem goldnen Sterne,

Wohin du, ein Verklärter, nun gekommen,

Du nimmer das Ersehnte wirst erringen;

 

Denn jene flog indes zur höhern Ferne,

Sie ward in heil’gern Sphären aufgenommen,

Und wieder mußt du Liebesklage singen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Auf Karl Gangloffs Tod

1787 – 1862

I.

 

In dieser Zeit, so reich an schönem Streben,

An Heldentod in frühen Jugendtagen,

Ward dir’s nicht, auf dem Siegesfeld erschlagen,

Den heil’gen Eichenkranz dir zu erwerben;

 

Beschleichend Fieber brachte dir Verderben,

Du wurdest bei der Eltern Weheklagen

Aus deinem Heimathause hingetragen

Zur Stätte, die nicht Blut, nur Blumen färben.

 

Doch nein, auch dich ergriff die Zeit des Ruhmes,

Dich drängt’ es, eine Herrmannsschlacht zu schaffen,

Ein sinnig Denkmal deutschen Heldentumes.

 

Wohl hörtest du noch scheidend Kampfruf schallen,

Es wogt’ um dich von Männern, Rossen, Waffen;

So bist du in der Hermannsschlacht gefallen.

 

 

 

II.

 

Nach Hohem, Würd’gem nur hast du gerungen,

Das Kleinliche verschmähend wie das Wilde;

So faßest du in kräftige Gebilde

Das wundervolle Lied der Nibelungen.

 

Schon hatte Hagens Größe dich durchdrungen,

Schon stand vor dir die Rächerin Chriemhilde,

Vor allem aber rührte dich die Milde

Des edlen Sifrids, Giselhers, des jungen.

 

Mit Fug ward Giselher von dir beklages,

Der blühend hinsank in des Kampfs Bedrängnis;

Dich selbst hat nun so früher Tod erjaget.

 

Warst du vielleicht zu innig schon versunken

In jenes Lied, des furchtbaresw Verhängnis

Zum Tode jedem, nun auch dir, gewunken?

 

 

 

III.

 

Bedeutungsvoll hast du dein Künstlerleben

Mit jenem frommen, stillen Bild geschlossen:

Wie Abraham mit seines Stamms Genossen

Das Land begrüßt, das ihm der Herr gegeben.

 

Da lehnten sie auf ihren Wanderstäben,

Von Wald und Felsenhang noch halb umschlossen,

Doch herrlich sehn sie unter sich ergossen

Das weite Land voll Kornes und voll Reben.

 

So bist auch du nun, abgeschiedne Seele,

Aus dieses Erdenlebens rauher Wilde

An deiner Wandrung frohes Ziel gekommen;

 

Und durch das finstre Tor der Grabeshöhle

Erblickst du schon die seligen Gefilde,

Das himmlische Verheißungsland der Frommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Der Blumenstrauß

1787 – 1862

Wenn Sträuchern, Blumen manche Deutung eigen,

Wenn in den Rosen Liebe sich entzündet,

Vergißmeinnicht im Namen schon sich kündet,

Lorbeere Ruhm, Zypressen Trauer zeigen;

 

Wenn, wo die andern Zeichen alle schweigen,

Man doch in Farben zarten Sinn ergründet,

Wenn Stolz und Neid dem Gelben sich verbündet,

Wenn Hoffnung flattert in den grünen Zweigen:

 

So brach ich wohl mit Grund in meinem Garten

Die Blumen aller Farben, aller Arten,

Und bring’ sie dir, zu wildem Strauß gereihet:

 

Dir ist ja meine Lust, mein Hoffen, Leiden,

Mein Lieben, meine Treu’, mein Ruhm, mein Neiden,

Dir ist mein Leben, dir mein Tod geweihet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Der mißgelaunte Liebesdichter

1787 – 1862

Bedächten wir, verliebte Kunstgesellen,

An wen wir unsre Liebeslieder richten,

Das könnt’ uns allen Liedermut zernichten,

Das möcht’ uns allen Minnesang vergällen.

 

Was wissen Mädchen von kastal’schen Quellen?

Verzeihn sie doch dem Dichter kaum das Dichten;

Und zehnmal lieber sind mir noch die Schlichten,

Als jene, die empfindungsreich sich stellen.

 

Was seh’ ich? teure Brüder, welch Ergrimmen!

Wollt ihr mit Flammenblicken mich verzehren?

Nein, edle Sänger, laßt euch nicht verstimmen!

 

Laßt immerfort die Saiten süß ertönen!

Die Welt sollt ihr mit Liedesklang verklären,

Verklärt denn auch die sogenannten Schönen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Der Wald

1787 – 1862

Was je mir spielt’ um Sinnen und Gemüte

Von frischem Grün, von kühlen Dämmerungen,

Das hat noch eben mich bedeckt, umschlungen,

Als eines Maienwaldes Lustgebiete.

 

Was je in Traum und Wachen mich umglühte

Von Blumenschein, von Knospen, kaum gesprungen,

Das kam durch die Gebüsche hergedrungen,

Als leichte Jägerin, des Waldes Blüte.

 

Sie floh dahin, ich eilte nach, mit Flehen,

Bald hätten meine Arme sie gebunen,

Da mußte schnell der Morgentraum verwehen.

 

O Schicksal, das mir selbst nicht Hoffnung gönnte!

Mir ist die Schönste nicht allein verschwunden,

Der Wald sogar, drin ich sie suchen könnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Die Bekehrung zum Sonett

1787 – 1862

Der du noch jüngst von deinem krit’schen Stuhle

Uns arme Sonettisten abgehudelt,

Der du von Gift und Galle recht gesprudelt

Und uns verflucht zum tiefsten Höllenpfuhle:

 

Du reines Hermelin der alten Schule,

Wie hast du nun dein weißes Fell besudelt!

Ja! ein Sonettlein hast du selbst gedudelt,

Ein schnalzend Seufzerlein an deine Buhle.

 

Hast du den selbstgesteckten Warnungszeichen,

Hast du, was halb mit Spott und halb mit Knirschen

Altmeister Voß gepredigt, all vergessen?

 

Fürwahr! du bist dem Lehrer zu vergleichen,

Der seinen Zögling ob gestohlnen Kirschen

Ausschalt und scheltend selber sie gefressen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Die Sonette

1787 – 1862

Vernimm, was vom Sonett ich weiß und glaube!

Zu Kränzen sah ich Blumen, Zweige schlingen,

Wohl künstlich, doch es zeigte sich das Zwingen,

Hier sprang ein Blümchen ab, dort fielen Laube.

 

Dann sah ich Ranken, strebend aus dem Staube,

Sie suchten selber mit den freien Ringen

Die Säule, sich als Kränze drum zu schwingen.

Umsonst! den Winden wurden sie zum Raube.

 

So sah ich Lieder als Sonette starren,

Sonettgedanken dann zum Lied zerflossen,

Das Rechte trafen wenige Geweihte.

 

Metall, schön tönend, doch nicht voll, in Barren,

Es ward in schöne Glockenform gegossen,

Da klang es erst in herrlichem Geläute.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Die teure Stelle

1787 – 1862

Die Stelle, wo ich auf verschlungnen Wegen

Begegnete dem wunderschönen Kinde,

Das, leicht vorübereilend mit dem Winde,

Mir spendete des holden Blickes Segen:

 

Wohl möcht’ ich jene Stelle liebend hegen,

Dort Zeichen graben in des Baumes Rinde,

Mich schmücken mit der Blumen Angebinde,

Zu Träumen mich in kühle Schatten legen.

 

Doch so verwirrte mich des Blickes Helle,

Und so geblendet blieb ich von dem Bilde,

Daß lang ich wie ein Trunkner mußte wanken;

 

Und nun mit allem Streben der Gedanken,

Sowie mit allem Suchen im Gefilde,

Nicht mehr erforschen kann die teure Stelle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ludwig Uhland                       Die zwo Jungfraun

1787 – 1862

Zwo Jungfraun sah ich auf dem Hügel droben,

Gleich lieblich von Gesicht, von zartem Baue;

Sie blicken in die abendlichen Gaue,

Sie saßen traut und schwesterlich verwoben.

 

Die eine hielt den rechten Arm erhoben,

Hindeutend auf Gebirg und Strom und Aue;

Die andre hielt, damit sie besser schaue,

Die linke Hand der Sonne vorgeschoben.

 

Kein Wunder, daß Verlangen mich bestrickte

Und daß in mir der süße Wunsch erglühte:

„O säß ich doch an einer Platz von beiden!“

 

Doch wie ich länger nach den Trauten blicke,

Gedacht’ ich im besänftigten Gemüte:

„Nein, wahrlich, Sünde wär’ es, sie zu scheiden.“